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Kritik der Theorie von der Selbsthilfe als ursprünglicher Form des Rechtsschutzes
Marko Petrak
Sažetak
Die Auffassung, dass die Selbsthilfe die ursprüngliche und älteste Form des Rechtsschutzes sei, ist in der modernen Wissenschaft vom Zivilprozessrecht fest verankert. Ursprünglich ist die Selbsthilfetheorie jedoch nicht innerhalb dieser Disziplin entstanden, sondern entfaltete sich in der Wissenschaft vom Römischen Recht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – insbesondere im Werk des berühmten deutschen Romanisten und Rechtsgelehrten Rudolph von Jhering (1818-1892) – als Antwort auf die komplexen Fragen nach der Entstehung und Entwicklung des römischen Zivilprozesses. Nach Jhering ist der eigentliche Ursprung des Rechts weder in göttlicher Offenbarung noch im Willen des Staates zu suchen, sondern liegt in der physischen Gewalt (vis) des Einzelnen begründet. Da in vorgeschichtlicher Zeit der Zustand des “Krieges aller gegen alle“ herrschte, war die Selbsthilfe die älteste Form der Beilegung von Konflikten. Die genannten theoretischen Konzepte übten enormen Einfluss auf die Romanistik des 20. Jahrhunderts aus und wurden nahezu zu einer communis opinio doctorum, wobei sie auch in andere Rechtsdisziplinen durchdrangen, vor allem ins Zivilprozessrecht. Ausgehend von einer Analyse der relevanten römischen Quellen, verwirft der Autor die Selbsthilfetheorie als eine ahistorische Konstruktion, die sich auf neuzeitlichen rationalistischen und naturalistischen Thesen von der Genesis des Staates und des Rechts gründet, und zieht den Schluss, dass sich die Hauptpostulate der Selbsthilfetheorie insbesondere mit den Einsichten des englischen Philosophen Hobbes (1588-1679) decken, der als ursprünglichen, dh. Naturzustand des Menschen (status naturalis), den Krieg aller gegen alle (bellum omnium in omnes) ansah. Aufgrund dieser Schlussfolgerung wird in der vorliegenden Arbeit an konkreten Beispielen belegt, auf welchem Wege die Anwendung der Selbsthilfetheorie zu einer Fehlinterpretation der Strukturen des ältesten römischen Prozessrechts als eines Systems ritualisierter Akte physischer Gewalt führte. In völligem Gegensatz zu den Grundsätzen der Selbsthilfetheorie unterstreicht der Autor im abschließenden Teil der Arbeit die Tatsache, dass der „göttliche Frieden“ (pax deorum), der Frieden der römischen Gemeinschaft (civitas) mit ihren Göttern (dii), den fundamentalen Wert des archaischen römischen Lebens ausmachte. Daher sollte nach seiner Meinung jeder neue Versuch, die Entstehung und Entwicklung des römischen Zivilprozesses zu rekonstruieren, von der Grundannahme ausgehen, dass dieser Prozess ursprünglich ein System ritualer Akte zum Schutze des Zustandes des „göttlichen Friedens“ darstellte.
Ključne riječi
Selbsthilfetheorie; römisches Recht; Rechtsschutz
Hrčak ID:
5050
URI
Datum izdavanja:
20.10.2006.
Posjeta: 2.969 *