Review article
VOLKSTÄNZE DER LIKA
Ivan Ivančan
; Institute of Ethnology and Folklore Research, Zagreb, Croatia
Abstract
Die Likaner Volkstänze stellen eine Sonderheit vor unter den jugoslawischen Tänzen und durch ihre Repräsentanten, dem »ličko kolo« (Likaner Reigen) und dem »tanac« (mišnjača) /Tanz-Dudelsacktanz/ wird ihre Zugehörigkeit zu der dinarischen bzw. adriatischen Tanz-Zone offenbar.
Von der Lika, wo sich nicht nur die dinarischen und adriatischen Einflüsse mischten, sondern wo auch die alpinischen und panonischen Beeinflussungen sichtbar sind, wurde wenig geschrieben im Verhältnis zu einigen anderen jugoslawischen Gebieten. Insbesondere werden die Tänze selten oder sogar gar nicht erwähnt.
In der Lika zeichnete ich 36 Kolo-Reigen und Tänze auf, deren Herkunft und Verbreitungsweite sehr verschieden ist und zwar sind es die folgende: Ančica; bećarac; bimber; biračko kolo; čardaš; crnogorsko kolo; dalmatinsko kolo; doktora; drmeš; đikac; Haj' na lijevo; hopšajdiri; hrvački; hrvačko; Izvor voda izvirala; Ja posijo lan; Kozara; krajc polka; krivo kolo; Kruške, jabuke, šljive; kukulješće; ličko kolo; ljubikolo; Milica; mišnjača; mo-ravac; napovrat; Oj kompoljsko kolo; paraglajz; pauna; plazavac; polka; se-ni-veni; Srbijanka; Sremica; šimi polka; špic polka; tanac; tane cura; tara-ban; triput nalevo; užičko kolo; vezanje lanca; zmije; vujaljka; Vranjanka.
Man tanzte zumeist des Sonntags und Feiertags u.zw. am Nachmittag. Am Neujahrs-Vortag tanzte man »na zafalnost Stari godini« (Zum Dank dem alten Jahr). Man tanzte und tanzt auch heute mitunter noch an den Spinnstubenabenden (prelo) und bei Hochzeiten. Besonders populär waren die Kolo--Reigen am weihnachtlichen St. Stephans-Tag und am Johannistag, und in einigen Dörfern tanzte man den Kolo-Reigen jeden Abend in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr.
Den Kolo-Reigen tanzte man überwiegend im Freien u.zw. sehr oft vor der Kirche, zumeist ohne Rücksicht auf Unwetter und Schnee.
In einigen Dörfern war der Tanzplatz für den Kolo-Reigen die Dresch-teinne. Es gibt sogar Fälle wo man genau wusste auf welcher Dresch-Tenne der einzelne Dorfweiler tanzen wird und auf welcher wiederum alle zusammentreffen werden an einem bestimmten Feiertag, z.B. am Kleinen Weihnachtstag.
Manchmal waren die Tanzplätze auf bestimmten Hügeln die die Gegend beherrschten. Diese Hügel waren zumeist vereinsamt, hervorragend und gut sichtbar, so dass es der ganzen Umgebung offenbar wurde wenn zwei drei Paare sich dorthin begaben und um zu sehen wenn die Jugend sich versammelt.
Es gibt eine Menge von Lokalitäten an denen man bei Quellen, Bächen, Sümpfen, Zisternen oder anderen Gewässern tanzte. Ebenso wurde oft an der Strasse, an Kreuzwegen oder vor jemandes Haus getanzt.
Es tanzen zumeist Mädchen und Burschen, besonders die Mädchen. Diese pflegen auch miteinander einen Kolo-Reigen anzuführen und stundenlang zu tanzen. Wenn Mädchen bei öffentlichen Zusammenkünften an dem Kolo--Reigen teilzunehmen beginnen, so ist das ein Zeichen dass sie heiratsbereit sind.
Die Tanzunterhaltungen in der Lika haben sich nicht ohne Störungen abgewickelt. Die religiösen Schranken verboten das Tanzen während des Advents und der Fastenzeit, sowie in den Fällen wenn ein Familienangehöriger oder Verwandte gestorben war.
Im alten Jugoslawien trieben Gendarmen die Spinnstubengesellschaften auseinander und verboten das Tanzen mit der Motivierung dass dabei gestohlen werde.
Es kam auch vor dass der Ehegatte, wenn er unbegabt zum Tanzen war, seinem Weibe das Tanzen verbot. Die Eltern erlaubten manchmal ihren Töchtern nicht zum Tanz zu gehen, mit der Motivierung dass gewisse Tänze unmoralisch seien.
Im Leben der Likaner spielte der Kolo-Reigen einst eine bedeutende gesellschaftliche Rolle. Hier kam die Jugend zusammen, wurde miteinander bekannt und die Älteren versammelten sich um den Kolo-Reigen und besprachen die täglichen Ereignisse und ihre dörflichen Probleme.
Im Kolo-Reigen, in seinem ersten, promenierenden Teil, (ähnlich wie in Slawonien) sang der Bursche, in Distichen die zumeist improvisiert wurden, von der Liebe und verabredete sein Stelldichein mit dem geliebten Mädchen; im Kolo-Reigen wurden Heiratsanträge gemacht. In den Distichen des Kolo-Reigens wurden die Mängel der Mitbürger gegeisselt, es wurden Anspielungen auf die elterlichen Heiratskombinationen gemacht, manchmal dem Lehrer oder Pfarrer zugesetzt, aber vor allem wurde oft von den Schönheiten der Lika, von den Likaner Mädchen und Burschen, sowie vom Velebit--Gebirge gesungen.
Im Kolo-Reigen herrschte Gleichheit bezüglich der Glaubens- bzw. nationalen Zugehörigkeit, sowie in Bezug auf den ökonomischen Stand der Mitwirkenden: in ihm nahmen Kroaten und Serben, arm und reich teil.
Zusammenkünfte und Märkte waren die Orte wo man sich seinen zukünftigen Ehegefährten auswählte. Auf diesen Märkten war gerade der Kolo-Reigen die Gelegenheit wo klar entschieden wurde welches Mädchen eine Heiratskandidatin ist und welches es nicht ist. Heiratskandidatinnen waren ausschliesslich jene die im Kolo-Reigen teilnahmen. Es gab Zusammenkünfte von welchen man sagen kann dass sie wahrhaftige Mädchen-Märkte waren.
Interessant ist das Beispiel aus dem Grenzgebiet der Lika mit Dalmati-en, wo ganz klar drei Feiertage, drei Märkte festgesetzt waren für das Auswählen der zukünftigen Ehegefährten. Jeder dieser Märkte hat eine andere Bezeichnung; der eine heisst »zagledac« (Beschauer) /am Grossen Frauentag, oder an St. Petri/, der zweite heisst »probirac« (Auswähler) /am Kleinen Frauentag/, der dritte »podmorac« (Bemüssigter) /am St. Petka-Tag/. Im Kolo-Reigen wurde ausserdem die Selektion der Mädchen ausgeübt: neben ihrem Aussehen und dem Reichtum ihres Schmuckes, wurde auch ihre Körperkraft beurteilt und wie lange sie im Tanze durchhalten kann.
Im Likaner Kolo-Reigen besteht auch ein Reigenführer; er ruft die Tanzkommandos aus und die anderen führen das aus was er befiehlt.
Das Faschingstanzen für Hanf und Flachs (aber auch für Kohl und Fleisch und anderes) ist auch in der Lika bekannt. Für den besseren Wuchs von Hanf und Flachs tanzte man den Likaner Kolo-Reigen (ličko kolo), aber in letzter Zeit d. h. zwischen den zwei Weltkriegen, auch die Polka.
Am Vortag zum Neujahr müssen die Männer den Kolo-Reigen tanzen damit ihnen der Schnurrbart grösser und stärker werde (also für die Kraft) und die Frauen für den Hanf. Je rascher und besser man tanzt, umso rascher wächst der Schnurrbart bzw. der Hanf, und je mehr man beim Tanz springt, umso grösser wird er.
Ein grosser Teil des alten Tanzrepertoires der Likaner hat sich erhalten, natürlich nur mit Rücksicht auf die wichtigsten Tänze. Ein wahres Wunder stellt auf den ersten Blick die Tatsache vor dass der zweitwichtigste Tanz, die »mišnjača« (Dudelsacktanz) /oder mit anderen Namen: »uz diple igrati« (zum Dudelsack tanzen), »na diple« (nach dem Dudelsack), »na diple igrati« (nach dem Dudelsack tanzen), »Hrvatski« (auf Kroatenart), »Hrvatski tanac« (Kroatischer Tanz), oder blos »tanac« (Tanz)/ völlig verloren gegangen ist.
Das ist ein klassisches Beispiel dafür wie ein Tanz organisch an ein Instrument gebunden ist das ihn begleitet; mit dem Verschwinden des Instrumentes verschwindet auch der Tanz selber. Die »mišnjača« (der Name selber besagt es) wurde zum Spiel der »mješnice« oder »diple« (wie die Likaner den Dudelsack mitunter nennen) getanzt.
Die Rhythmen der Likaner Tänze sind überwiegend geradezahlig und enthalten keine grösseren Variations-Finessen. Man könnte fast sagen dass die Likaner diesbezüglich sehr unelastisch sind, da sie alle Tänze oder den Grossteil derselben auf den zweiteiligen und vierteiligen Rhythmus beschränkt haben.
Sogar den »tanc«, der überall im benachbarten adriatischen Gebiet als dreiteiliger Tanz ausgeführt wird, haben die Likaner in den zweiteiligen Rhythmus schabionisiert, und die Musikbegleitung und den Tanz völlig in Ubereinstimmung gebracht, zum Unterschied von der sehr interessanten Heterorhythmic die bei dem adriatischen »tanac« und der »poskočica« (Springtanz) herrscht.
Ihre Neigung zu eventuellen Improvisationen, aber nur im Rahmen des zweiteiligen Rhythmus, bezeugten sie in ihrem Haupttanz, dem Likaner Kolo-Reigen, welchen man ohne Musikbegleitung tanzt und dessen beherrschendes rhythmisches Schema 3 mal 2/4 ist, das sich fortwährend wiederholt.
Ähnliche Erscheinungen und rhythmische Schemen begegnet man auch in anderen Teilen Jugoslawiens und in seinem zentralen Teil is das der grundlegende Rhythmus und stellt eines der Hauptelemente vor aufgrund dessen dieser Landesteil eine einheitliche Tanzzone, die dinarische, vorstellt.
Obzwar wir noch immer nicht über genügende Argumente verfügen, weil wir bezüglich der Tänze in verschiedenen Weltteilen nicht genügend oder sogar sehr wenig aufgezeichneter Denkmale haben, könnten wir einigen Anzeichen zufolge voraussetzen dass das Zentrum des sechsteiligen Tanzrhythmus die Levante, d. h. der östilche Mittelmeerraum ist. Der hauptsächliche und fast ausschliessliche Tanz (Reigen) der Araber in Libanon, Jordanien und Palästina, namens »Dabke«, was in Ubersetzung »schlagen« heisst, bewegt sich nach demselben Schema. Dieser Tanz wird, sowohl stilistisch, als auch in ausgedehnter Form und mit Rückkehr bzw. Anhalten auf den letzten zwei Vierteln, so getanzt wie bei uns.
Auf dem Territorium der Lika bestehen Mischungen dinarischer und ad-riatischer Tanzelemente allein schon durch die Erscheinung zweier ausgeprägter Repräsentanten des Tanzens in beiden Zonen, wie es der Likaner Kolo--Reigen und der Kroatische tanac (misnjaca) sind. Jedoch auch in den Figuren der beiden Tänze selber kann man Beispiele erahnen die offensichtlich von wechselseitigen Durchdringungen zeugen.
Der Likaner Kolo-Reigcn: ausserordentlich figurativ, kraftvoll, dynamisch, unterhaltsam, verschiedenartig im Tempo, einfach zu erlernen und leicht auf freiem Gelände auszuführen, wie auch ideal als Tanz für eine grosse Zahl Tanzender, für grosse Massen — wurde interessant auch für viele benachbarte Gebiete, die diese Tanz auf ihr Territorium verpflanzten und ihn ihrem Geschmack und Gewohnheiten anpassten.
In keiner einzigen Gegend Kroatiens ist so verbreitet das Tanzen an Wasserquellen, Zisternen, Sümpfen und anderen Orten mit Wasser. Fast in jedem Dorf, neben dem üblichen »koliste« (Tanzplatz), besteht auch ein Platz neben oder um irgendein Wasser, wo man pflichtmässig an einem bestimmten Tag im Jahr tanzen muss. Man sieht also dass an der Quelle oder an einem Wasser der Kolo-Reigen nur in ausnehmenden Fällen getanzt wird, sagen wir einmal jährlich, während man bei allen anderen Gelegenheiten am Tanzplatz tanzt. An dem erwähnten Tag im Jahr muss der Kolo--Reigen unbedingt ausgeführt werden, und wenn ein grosser Schneefall einsetzt, dann gehen die Mädchen am Vorabend des Tages an dem der Gang zur Quelle erfolgt, den Schnee auseinander schaufeln (die Lika ist bekannt wegen ihrer alljähriger haushoher Schneeverwehungen). An manchen Lokalitäten muss die Wasserquelle nach Osten gewendet sein, der Sonne zu. Gelegentlich des Wasser-Schenkens werden magische Formeln gesprochen. Der Kolo-Reigen wird an der Quelle getanzt zur Gesundheit und man führt bei dieser Gelegenheit auch Krüppel dorthin. Es bestehen auch besonders wichtige Quellen an welchen sich die Leute aus mehreren Ortschaften begeben. Die Mädchen stehen am Morgen ausserordentlich früh auf, gegen 2—3 Uhr nach Mitternacht gehen sie schon zur Quelle und in manchen Dörfern 'müssen sie bei der Rückkehr einen anderen Weg gehen damit die Magie je wirksamer sei. Es ist offensichtlich dass es sich hierbei um Reste alter Wasser- und Quellenkulte handelt, die wir ziemlich leicht als aus dem illy-risch-japodischen Binda-Kult herstammend erklären können.
Keywords
Hrčak ID:
39681
URI
Publication date:
25.11.1971.
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