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Die berner Auswanderung in die Vereinigten Staaten, 1870–1930: eine quantitative Analyse ökonomischer Faktoren
Simon Geissbühler
; Institut für Politikwissenschaft, Bern, Schweiz
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Die Vereinigten Staaten waren im 19. und im frühen 20. Jahrhundert die wichtigste Destination der schweizerischen Auswanderer. In dieser Zeitspanne emigrierten rund 250,000 Schweizer in die USA. Auch für die meisten Emigranten aus dem Kanton Bern stellten die Vereinigten Staaten das primäre Ziel dar. Schon 1710 hatte Nordamerika mit der Gründung der kleinen Kolonie New Berne durch Christoph von Graffenried eine gewisse Attraktivität für Berner Auswanderer gewonnen. Allerdings blieb diesem Kolonisationsprojekt nur ein beschränkter Erfolg beschieden. Der Anteil der Nordamerika-Auswanderer an der Berner Emigration insgesamt blieb im 18. Jahrhundert denn auch gering. Die Obrigkeit vertrat eine restriktive Politik und versuchte Massenauswanderungen gesetzlich zu erschweren oder verbot sie bisweilen sogar vollständig. Gesamthaft emigrierten im 18. Jahrhundert kaum mehr als 6000 Berner nach Nordamerika. Im 19. Jahrhundert änderte sich dies grundsätzlich. Die USA wurden im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur wichtigsten Destination für die Berner Emigranten überhaupt. Eine erste Auswanderungswelle fand um 1816/17 während einer einschneidenden Hungerkrise statt. Eine zweite Welle lässt sich für die fünfziger Jahre nachweisen. In einer schwierigen wirtschaftlichen Situation entschieden sich Tausende von Bernern zu einer Auswanderung in die Vereinigten Staaten. In den 1880er Jahren, in einer Zeit einer schweren Rezession wanderten wiederum sehr viele Berner in die USA aus. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in den neunziger Jahren verebbte die Auswanderung wieder und erreichte auch nach dem Ersten Weltkrieg nie mehr den enorm hohen Level der achtziger Jahre. Im vorliegenden Aufsatz wird der Frage nachgegangen, wie die Berner Auswanderung in die USA zwischen 1870 und 1930 erklärt werden kann. Im Zentrum der Untersuchung steht die quantitative Untersuchung ökonomischer Faktoren. Erstens ist es die Aufgabe dieses Aufsatzes, zu demonstrieren, dass quantitative Methoden für die historische Emigrationsforschung außerordentlich befruchtend sein können. Qualitative Studien zur Auswanderung sind zwar wichtig, aber ermöglichen kaum eine Gewichtung verschiedener Bestimmungsfaktoren der Auswanderung. Die Frage nach der Stärke von Zusammenhängen lässt sich besser mit einer quantitativen Vorgehensweise beantworten. Zweitens möchte der Autor aufzeigen, dass sowohl Push- als auch Pull-Faktoren wichtig waren. Dabei ist es ihm besonders wichtig, zu illustrieren, dass die wirtschaftlichen Faktoren im “aufnehmenden” Land, also in diesem Fall in den USA, als Bestimmungsfaktor der Auswanderung nicht vernachlässigt werden dürfen. Die Grundlage der quantitativen Auswertungen bilden neun Hypothesen. Positiv auswirken auf die Berner Auswanderung in die USA sollte sich demnach die Emigrationstradition (Emigration im Jahr t-1), der Eisenbahnbau in den Vereinigten Staaten, die Anzahl Berner, die von der Sozialhilfe abhängig sind, und die Mortalitätsrate. Ein negativer Effekt wird demgegenüber für die Variablen Arbeitslosigkeit in den USA, Investitionen in Transportsysteme in der Schweiz, Investitionen in den Hochbau im Kanton Bern, Höhe des schweizerischen Index für industrielle Produktion und Höhe des Preisindex in den USA erwartet. Die Resultate der bivariaten Korrelationen bestätigen sieben Hypothesen. Lediglich zwei Hypothesen müssen eindeutig verworfen werden. Die Emigration im Vorjahr korreliert klar am stärksten mit der Berner Auswanderung (positiv). Dahinter folgen die Investitionen in den Hochbau (negativ), der Eisenbahnbau in den USA (positiv) und die Anzahl von der Sozialhilfe abhängigen Berner (positiv). Ebenfalls signifikant sind die Zusammenhänge zwischen der Berner Auswanderung und dem amerikanischen Preisindex (negativ), den Schweizer Investitionen in Transportsysteme (negativ) und die Mortalitätsrate im Kanton Bern (positiv). Nicht signifikant sind lediglich die Zusammenhänge zwischen der Berner Emigration in die USA und der amerikanischen Arbeitslosenrate sowie dem Indeks für industrielle Produktion in der Schweiz. Die Berner Auswanderung in die Vereinigten Staaten hängt also sehr stark mit der wirtschaftlichen Entwicklung im Kanton Bern und in den USA men. Sowohl Pull- als auch Push-Faktoren sind wichtige Bestimmungsfaktoren. Leider konnte aufgrund der lückenhaften Zeitreihen und der Probleme mit der “gelagged” unabhängigen Variablen Emigration im Jahr t-1 keine Regressionsanalyse durchgeführt werden. Es wäre jedoch zu begrüssen, wenn in anderen Studien auf der regionalen Untersuchungsebene, bei denen sich die Datenlage günstiger präsentiert, nicht nur Korrelationen berechnet, sondern auch Regressionsmodelle geschätzt würden. Trotzdem konnte die vorliegende Studie aufzeigen, dass quantitative Methoden für die historische Auswanderungsforschung sehr hilfreich sind und dass die Berner Emigration in die USA zwischen 1870 und 1930 primär eine sozioökonomische Massenbewegung war.
Ključne riječi
Auswanderung; Wirtschaft; Bern; Schweiz; Vereinigten Staaten; quantitative Analyse
Hrčak ID:
109435
URI
Datum izdavanja:
29.10.1999.
Posjeta: 1.901 *