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Das zweite Freisinger Denkmal als literargeschichtliches Problem
Jože Pogačnik
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Das zweite Freisinger Denkmal als literargeschichtliches Problem
Die Freisinger Denkmäler sind von Zeitpunkt ihrer Auffindung an bis heute im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit slavistischer Sprachforschung. In diametral entgegengesetzt ausgerichteten Konzepten ist der gemeinsame Ort die wissenschaftlich noch nicht erforschte Problemstellung von bestimmten literarischen Ursprüngen. Dieser Gedanke lieferte die Anregung für diesen Aufsatz. Seine Aufgabe ist es, die literarische Struktur des 2. Freisinger Denkmals festzustellen (im folgenden Fri II genannt), und zwar jene Gesetzmässigkeiten, die sprachliche Transponierung und ihre Reihenfolge bestimmen (Stil und Aufbau). Nur in diesen beiden Kategorien ist es möglich, auf dem Gebiet des mittelalterlichen "göttlichen" Wortes Spuren menschlichen Geistes zu suchen. Die stoffliche und gedankliche Gebundenheit an die damalige Weltanschauung, besonders aber die Unterordnung unter die Pastorisierung der Missionspraxis (Fri II ist "adhortatio ad poenitentiam"), schliessen eine thematische und ideelle Ursprünglichkeit, die man nur in ihrer Übertragung in Sprache und in ihrer inhaltlichen Zergliederung finden kann, aus.
Die Analyse der Komposition ergab folgende Resultate:
a) Fri II ist ein Beispiel für einen symmetrischen Aufbau. In ihm besteht ein Gegensatz zwischen dem geschlossenen Bogen der Form und dem offenen inhaltlichen Wogen, was vor allem eine besondere ästhetische Intention verrät und grossen ästhetischen Wert hat.
b) das Denkmal ist aus gedanklichen Elementen zusammengesetzt, due nach dem Schema 7 + 1 + 7 disponiert sind.
c) Die Zahlenkomposition hat neben dem ästhetischen auch einen symbolischen Wert, weil die Bedeutung der Zahl 7 aus biblisch-philosopischen Deutungen übernommen ist. Die Zahl ist demnach in erster Linie ein formalkompositorisches Gerüst und hat eine metaphysische Vertiefung des Inhalts zur Folge.
Das Bestreben nach absoluter Symmetrie ist an den idealistischen Blick auf eine Welt gebunden, dem die natürlichen Erscheinungen Ausdruck überstofflicher Ideen sind. Dem Autor ging es um ideenmässige Ausdruckskraft dargstellter Themen, um die unsichtbare, innere Bedeutung und um die Ordnung, die nur in der Ideenwelt bestehen kann. Die Neigung zu freien Bildern und zum Typisieren nimmt die gegebenen Themen als Mittel zur Schaffung einer eigenen Welt, die von einer subjektiven Idee von vorn herein bestimmt wird. Eine solche Komposition gibt die Dinge in einer idealen und abstrakten Ordnung, wie sie die Natur nicht kennt. Sie ordnet sie in einer Symmetrie, die Ausdruck dauernden Friedens und vollkommener Ausgeglichenheit, Symbol einer ewigen Ordnung ist, wie sie in der idealistischen Ideenwelt herrscht und deren Ausdruck nur eine solche ideenmässig bedeutende und gebundene Komposition sein kann.
Dieses Verhältnis zu einem gesprochenen Text (es handelt sich ja um eine Predigt) stammt aus Cassiodors patristischer Konzeption von der Provenienz aller "artes" und aus der Anwendung dieser Theorie im Imperium Karls des Grossen. In diesem Punkt wurde Cassiodors Gedanke Grundstein für einen geistig-kulturellen Prozess, der das Bild Westeuropas weränderte. Für die Stilanalyse in des Wortes engerer Bedeutung muss man in Fri II die Art des gesprochenen und expiratorische Einheiten zeigten sich folgende stilistische Dominanten:
a) Die Grenzen der syntaktisch-exspiratorischen Einheiten sind gleichzeitig die Grenzen der rhythmischen Einheiten.
b) Es zeigt sich eine isosyllabische (isokolonische) Tendenz.
c) Der Satzton ist konsequent am Ende der syntaktischen Einheit, was bedeutet, dass die Kette der Worte zu einer besonderen Enuniation strebt, die wir als Akzentklausel bezeichnen. Die Probleme der Akzentklausel muss man mit dem Begriff des Kursus lösen, der in der rednerischen Prosa eines der markantesten Stilmittel war. In Fri II zeigen sich ein cursus velox und ein cursus tardus. Sehr interessant aber ist die Erscheinung der ditrochäischen Klausel, die in der lateinischen Prosa Kennzeichen eines hohen Stils war. Sie war "magna cura", Martianus Capella aber erwähnt sie sogar als "bonas (pulchras, elegantes) clausulas". Fri II wurde also in einer Tonart vorgetragen, die der Dichtung nahe war: mit ausgeprägter und ausgearbeiter Tonmodulation; das brachte es dem Kirchenlied nahe, das auch nicht anderes als ein feierliches, mit modulierter Stimme mehr rezitiertes als gesungenes Vortragen war. Diese Feststellung bekräftigt die Verbindung zwischen Rhetorik und Poesie auch in den slowenischen Pastoraltexten, was ein allgemeines Kennzeichen der Zeit ist.
Beim Problem der Akzentklausel haben wir es mit einem gereimten Schlussteil des Kolons zu tun, was bedeutet, dass in Fri II ds Homoioteleuton auftritt. Im Text finden wir es auf pathetisch und rhetorisch am ehesten exponierten Stellen, was die Behauptung zulässt: das Homoioteleuton ist in Fri II ein fakultatives, aber nicht notwendiges Sprachornament. Neben dieser Eigenheit tritt in Fri II auch ein inhaltlicher und formaler Gegensatz zwischen den Wünschen auf, die der irrealen Intention zugehören und den Tatsachen, die der sachliche Inhalt des Textes sind. In Fällen zeigt sich ein neunes Stilmittel, das in der Theorie der rhetorichen Prosa Antitheton genannt wird.
Die strukturelle Eigenheit wäre also mit folgender These bezeichnet: die Eigenart von Fri II besteht im isokolonischen and antithetischen Satzparallelismus, in dem sich als sichtbarste rhythmische Tendenz das Homoioteleuton zeigt. Mit dieser Eigenheit schliesst es sich in seiner Ganzheit der entsprehenden literarischen Produktion westeuropäischen Ursprungs an und bindet sich ausschliesslich an die lateinische Tradition seiner Zeit. Die Stilanalyse gibt daher im Einklang mit dem geschichtlichen Kontext eine indirekt negative Antwort, die beredt das Problem von der angeblichen Verbindung von Fri II mit der altkirchenslavischen Literatur löst.
Der literarische Aufbau in Fri II aber bestätigt auch die sprachliche Konstruktion. Der Schreiber konnte nämlich in der Beschreibung der Vorgänge eine Reihe von spezifischen, verhältnismässig präzisen Stilnuancen und Determinanten gebrauchen, und er hat auf diese Weise den Text individuell gefärbt und subjektiv nuanciert. Zu diesem Zweck hat er vor allem die schöpferischen Möglichkeiten ausgenützt, die Sprache und Stil im System des slavischen Verbalaspektes haben. Die Analyse konnte folgendes feststellen:
a) Das Imperfekt ist meist ein tempus descriptivum, das an Stellen gebraucht wird, wo der Autor biblische Tatsachen erklärt und erläutert: das Imperfekt hat die Funktion exegetischer Vermittlung.
b) Das Perfekt stellt im allgemeinen eine Tatsache dar, die sich in der Vergangenheit abgespielt hat. Hauptsächlich vermittelt es den apodiktischen Ausdruck der Gebote und hat gnomische Funktion.
c) Unter den Aoristen ist die Bildung vom imperfektiven Verbum besonders interessant. In ihr vereinigen sich zwei grammatikalische Eigenheiten, die offensichtlich unzertrennlich sind. Die aspekt-semantische Grundlage (Imperfektivität) wirkt über die spezifische Zeitform hinaus, die selbst an sich perfektiv ist. Neben dem Element der Dauer zeigt sich das Element der Vollendung. Der imperfektive Aorist weckt in dem Fall die Vorstellung vom Abschluss einer Handlung, eine Art Vollendung der Aktivität in der Vergangeneiner heit. Auf der Grundlage fer zeitlichen Perspektive könen wir demnach von einer durch Aorist determinierten Imperfektivität sprechen, die eine ausgesprochene Ausdrucksqualität hat.
Um die Aufmerksamkeit zu vergrössern, um das Gefühl und die Konzentration der Expressivität zu intensivieren, aber verwendet der Autor von Fri II noch andere Mittel. Der Kontrast und die Antithese sind grundlagen jeden Sprechstils. Neben ihnen zeigen sich dichterische Periphrasen und Vergleiche, Metaphern, Allegorien, die Alliteration mit Konsonanz und die Anapher, die aber eine ganz eigene Rolle spielt. Hauptsächlich ist sie mit dem Fürwort eže ausgeführt und trägt stilistich den Satzparallelismus und die gedankliche Struktur. Der Parallelismus als Stilmittel aber gehört in den Umkreis des Formprinzips der Wiederholung. Genetisch stammt er aus der mündlichen Improvisation, die er auch in Fri II erleichtert. Doch ist er im Text nicht nur auf eine behelfsmässig assoziative Funktion begrenzt, sondern hat auch eine stilistisch-formende Rolle. Ähnlich ist es mit der Postposition des persönlichen Fürwortes und der Apposition des Eigenschaftswortes. Der Autor bekam mit Inversionen einen erhöhten, aber manchmal sehr pathetischen Ton. das tat er mit Absicht, da er von dem Wunsch gelenkt wurde, seine persönliche Emotion auf den Zuhörer zu übertragen. Wir haben es mit einer Art kollektiver Entithesis zu tun, die den redner und den Zuhörer zu einer Einheit verschmilzt. Die Emotion nimmt das Objekt in sich auf und baut dieser Grundlage ein kohärentes System, das am besten durch den Begriff "Ästhetik leidenschaftlichen Überzeugnes" gekennzeichnet würde.
Der Schreiber von Fri II schuf eine maximal gelungene Synthese eines sprachlichen geistigen Ethymons. Von diesem Zeitpunkt an datiert die slowenische Literatur in des Wortes wahrer Bedeutung. Wenn auch der Text keine historisch bezeugte Tradition schuf, verflocht er sich doch in dem Masse in die Tradition der Geschichte und in der Literatur der Gegenwart, dass er in ihnen seinen festfundierten Platz hat. Er entstand in einer Zeit und in einem Staat, die in der katholichen Kirche ihren ideologischen Überbau sahen und deshalb eine dementsprechende Literatur schufen. Dabei konnte der Verfasser des Fri II nicht mit nichts beginnen, sondern er musste sich an die vorangegangenen künstlerischen Erfahrungen anlehnen. Deshalb langte der Verfasser von Fri II nach den ästhetischen Mitteln antiker künstelerischer Prosa und glich sie der neuen, mittelalterlichen Gestalt der Welt an. In diesem Prozess zeigte er ausserordentliches Verständnis für die Feinheiten der slowenischen Sprache und zeigte eine glückliche Hand bei der Formung des Inhalts, den er mitteilen wollte. Deshalb gilt es für den ersten slowenischen Text, in dem zugleich auch ein Kunstwerk vorliegt, festzuhalten: Fri II ist ein selbständiges und literarischstrukturiertes Wek, das wertvolle Anregungen der Tradition übernommen hat. Es übernahm sie schöpferisch und formte sie nach individuellen Neigungen des Schreibers und angesichts der Eigenheit der Volksgeschichte um.
Ključne riječi
Hrčak ID:
13848
URI
Datum izdavanja:
30.9.1964.
Posjeta: 1.794 *