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Original scientific paper

ZERFALL DER FORMEN DER MÜNDLICHEN POESIE - FORMELN DER POPULÄRDICHTUNG

Divna Zečević ; Institute of Ethnology and Folklore Research, Zagreb, Croatia


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Abstract

In der Einleitung wird eine Reminiszenz angeführt an ein spezifischen Erlebnis anlässlich der Feldforschung: auch in der armeseligsten Hütte begegnet man Beweisen des Bedürfnisses und Bestrebens des Menschen nach Schönheit, wie z. B. Blumen aus einer schwammigen Materie in einem grünen Kunststoffgefäss. Auf dem Fensterbrett ist nicht etwa eine Vase mit Garten oder Feldblumen, denn Schönheit in Form eines billigen Ziergegenstandes ist ein Austritt aus dem Alltag. Blumen aus Kunststoff dringen aus einer technisierten Well in die dörfische oder halbdörfischc, halburbanisicrtc Mitte. Eine analoge Erscheinung ist ersichtlich in dem Bestreben die städtischen Wohnungen mit Symbolen einer idealisierten Vergangenheit zu schmücken: mit Spinnrad, Tonkrügen, diversen Arten von Bauerngeweben u. s. w. Im ersteren Falle handelt es sich um ein der Stadt und der Zukunft zugewandtes Streben, im letzteren um einen Rückblick aus dem lärmenden Gedränge des Stadtlebens in die Vergangenheit. In beiden Fällen muss man die Gefühlsinnigkeit zwischen dem Menschen und dem Gegenstand der sein Schönheits¬bestreben befriedigt voraussetzen.
Der Ausgangspunkt der Abhandlung ist der dass die Entstehung und Entwicklung der Populär-Literatur bei den Kroaten mit den Aufzeichnungen biblischer Legenden, Apokryphen und Mirakeln begann und sich bis zum heutigen Tag zwischen Strömungen der traditionellen mündlichen und der Hochlitcratur fortsetzte. Die Vcfasserin hat ihre Untersuchung der Aufdeckung der Eigenheiten gewidmet durch welche sich die Populär-Literatur, in diesem Falle die Populär-Dichtung, speziell von der traditionellen mündlichen Literatur unterscheidet. Aufgrund von Beispielen, grossenteils (aber nicht ausschliesslich) von Populär-Dichtungen in Zehnsilbenversen, analysiert sie die Erscheinung des Zerfalls der Formeln der traditionellen mündlichen Poesie in den Populär-Dichtungen, von denen sich einige durch ihren »Zeitungs-« Charakter auszeichnen; sie entstanden nämlich aufgrund von Gerichtsaalchroniken in der Tagespresse.
Des weiteren wird festgestellt, aufgrund von Texten aus dem 17. Jh. (Gedichte über das Leben der hl. Genoveva und das Leben der Uliva) dass der Prozess des Zerfalls der Formeln der mündlichen traditionellen Volkspoesie nicht neueren Datums ist, d. h. nicht nur eine Erscheinung ist in den Populär-Dichtungen unseres Jahrhunderts, die schriftlich und mündlich über¬tragen wurden und werden.
Die Populär-Dichtung singt von den Ereignissen und nicht von den Erlebnissen. Das temporale Muster für die Invokation der Ereignisse am Beginn dos Gedichtes ist zugleich auch das Muster für den Schluss des Gedichtes, in welchem der Verfasser die Zuverlässigkeit seines Statusses bestätigt: er führt seinen Vor- und Zunamen an, manchmal seinen Beruf, seine Herkunft und das Datum an dem er das Gedicht beendet hat, denn — man glaubt mehr an die Wahrheit eines geschilderten Ereignisses wenn es von einem bestimmten Menschen erzählt wird. Dieses Phänomen ist analog dem Erzä-hlen »wahrer Geschichten« (von Spukgeräuschen und ähnl.) die auch heutzutage in den Dörfern erzählt werden, bei welcher Gelegenheit der Erzähler ausdrücklich betont von wem und wann er von dem Begebnis das er mitteilt gehört hat. Diese Analogie setzt sich fort in dem Beispiel des Bestrebens der Zeitungsberichte ein Ereignis zeitlich präzis festzusetzen und Bildaufnah¬men von einem Unfall zu bringen. In der Populär-Dichtung »Die Liebe und der Tod Mladins und Rossandas« bekräftigt der Dichter die Wahrhaftigkeit seiner Dichtung indem er das Bild des unglücklichen Mädchens präsentiert.
In der Abhandlung wird des weiteren der Unterschied ins Auge gefasst zwischen dem Muster für die Komposition des Gedichtes und der Formel als dem wesentlichen Element der Komposition. Besonders Beachtung findet die Frage — was alles die Funktion der Formel in der Populär-Dichtung übernehmen kann. Die dichterische Schilderung von Gefühlszuständcn — von Gefühlserlebnissen kann man da nicht sprechen — besteht in den Populär--Dichtungcn aus einer Menge »sichtbarer«, äusserlicher, realisticher Details und gerade diese Details oder detaillisierten Realitäten die reichlich wiederholt werden, übernehmen und verrichten in der Populär-Dichtung die Funk¬tion der Formeln. Die Funktion der Formeln in der Markierung und Fixierung der Gefühlszuständc übernehmen Bewegungen, charakteristische Gebärden: 1) Händeringen vor Verzweiflung und Aufregung, 2) Haarsträuben, 3) Haare-Raufen, 4) Zittern am ganzen Leib u. s. w.
Eine charakteristische Erscheinung in der Populär-Dichtung des kro-atisch-serbischen Sprachgebietes bildet das Durchschlingen der traditionellen mündlichen Volkspoesie mit den Formeln der Populär-Dichtung. Aus den Beispielen ist auch das Durchschlingen dieser beiden Strömungen mit den Entwicklungsläufen der Hochliteratur ersichtlich. Man kann sogar die deut¬lichen Spuren der literarischen Zeitabschnitte (z. B. der Renaissance-Literatur) verfolgen, im Schatten welcher die Populär-Dichtungen entstanden sind.
Bezüglich des Wortsschatzes in der Populär-Dichtung untersuchte die Verfasserin die Erscheinung von Wortübergriffen d. h. die Aneignung von Wörtern eines anderen sozialen Kreises mit verstärkter Plausibilität. Die Ver¬fasserin bringt diese Erscheinung in unmittelbare Beziehung zu Claude Levi-Strauss »Lehre von dem Konkreten«, worin er den mythischen Gedanken mit der »häuslischen Meisterei« vergleicht. Ebenso wie die häuslichen Mei¬ster, wendet sich auch der Volksdichter bezüglich des Wortschatzes der »Sammlung von Uberresten der Dinge« zu. Im Bereich des Wortschatzes begegnet man Elementen verschiedenartiger kultureller und sozialer Gruppen; Wörter — gleich halbgereinigten Ziegelsteinen eines neidergerissenen Gebäudes, dienen in all ihrer Buntheit bei der Errichtung eines neuen Bauwerkes.
Der Prozess des Zerfalls der Formeln der traditionellen mündlichen Poe¬sie und die Formierung der Formeln der Populär-Dichtung geht parallel mit der Entwicklung und der Dauer der traditionellen mündlichen Volkslitera-tur und der Hochliteratur u. zw. von den ersten Anfängen der Schriftkunde an und bis zum heutigen Tag, wo sich die Strömung der Populär-Dichtung in den Begriff der Massenkultur ergiesst. Die Wurzel dieses Prozesses des Zerfalls der Formeln der traditionellen mündlichen Poesie und die Formierung der Formeln der Populär-Dichtung reicht viel tiefer als man am Anfang des Studiums dieser Erscheinung erahnen konnte; auf dem Wege zu ihrer Erforschung ist mit diesem Versuch in der kroatischen Wissenschaft blos der erste Schritt getan.

Keywords

Hrčak ID:

39670

URI

https://hrcak.srce.hr/39670

Publication date:

25.11.1971.

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